Entwicklung beim Wolf: im Mai 2023 sind mindestens 820 adulte Wölfe in Deutschland zu erwarten. Hier die Berechnung:
Der ein oder andere weiß bereits, dass ich seit einigen Jahren, die Entwicklung der Wolfspopulation rechnerisch mit dem Tool „TRIM“ verfolge. Da mir die offiziellen Daten bei der dynamischen Entwicklung doch recht veraltet erscheinen…
Eigentlich von der zur Vogelzählung genutzt, wurde es auch vom BfN zur Erstellung der aktuellen Rote Liste der Säugetiere in Deutschland genutzt (Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 170 (2): Säugetiere (2020), S. 12). Auch dort hat sich die Einschätzung der Population des Wolfes auf Grund der „deutlichen Zunahme“ durch die „reale Veränderung der Gefährdungssituation“ um zwei Stufen von „1 – vom Aussterben bedroht“ zu „3 – gefährdet“ verbessert. Und auch nach den bisherigen Daten, gibt es weiter kein Signal, dass die ökologische Populationsgrenze in Sichtweite sein könnte oder andere Einflüsse (Verkehr, illegale Abschüsse) zu einer Verlangsamung der Entwicklung führen.
Noch einmal zur Erinnerung:
Ich habe bei der Berechnung die öffentlich vorliegenden, bestätigten und politisch abgestimmten Daten vom DBBW, die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf und Wolfsmonitoring.com einzeln nach Bundesländern und Jahren in die Software gefüttert. Bei der Berechnung habe ich mich allein auf die nachgewiesenen Territorien für das jeweilige Jahr beschränkt und diese je nach Bundesland eingegeben, weil in Deutschland natürlich jedes Bundesland anders zählt.
Dazu habe ich wieder das Programm vom European Bird Census, TRIM (TRends and Indices for Monitoring data) genutzt. Der Algorithmus geht davon aus, dass nicht alle Daten vorliegen und das jeder Kartierer (Bundesland) etwas anders zählt. Also das, was man braucht, um aus mehr oder weniger vollständigen Daten brauchbare Prognosen abzuleiten. Deshalb gibt es standardmäßig einen Fehlerkoeffizienten, der ebenfalls in der Graphik dargestellt wird. Die Graphik habe ich mit den Zahlen aus dem Programm in einem modernen Programm für Tabellenkalkulation graphisch aufbereitet, weil es sonst nicht sehr leserlich ist.
Die Datengrundlagen
Vorab: Wie wird ein Territorium nachgewiesen? Für den Nachweis eines territorialen Wolfes muss dieser zweimal innerhalb von sechs Monaten per DNA nachgewiesen werden oder aber es müssen Welpen eindeutig nachgewiesen werden. Es handelt sich daher bei den offiziellen Zahlen der DBBW um das nachgewiesene Minimum – die tatsächliche Zahl der Wolfsterritorien dürften deutlich größer sein!
Will man aus diesen Zahlen, wie auch aus denen des DBBW Schlüsse für die Gegenwart ziehen, ist immer zu beachten, dass das Monitoringjahr für den Wolf vom 01. Mai bis zum 30. April definiert ist, d.h. immer die Daten des vorangegangen Kalenderjahres wiedergegeben werden. Das DBBW bezieht sich auf die geschlechtsreifen, territorialen Tiere, die für 2022/2023 (also am 30.4.2023) nachgewiesen wurden. Die Zahlen für das Monitoring-Jahr 2022/2023 sind im Herbst 2023 zu erwarten u.s.w.
Ich ziehe inzwischen für die Berechnung alle Territorien heran, weil ich davon ausgehe, dass es Energie kostet, ein Territorium zu etablieren, es sich also für das Tier „lohnen“ muss und weil ich weiter davon ausgehe, dass der Nachweis eines Rudels (also der Reproduktion) in etlichen Gegenden Deutschlands eher ein Zufallsbefund ist.
Jahr / Land | Ba.-Wü. | By | Brb | H. | M.-P. | Nds. | NRW | R.-P. | SN | S.-A. | S.-H. | Th | Σ | Zuwachs [%] |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
2000/01 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 % |
2001/02 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 | 0 | 0 | 1 | 0 % |
2002/03 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 2 | 0 | 0 | 0 | 2 | 100 % |
2003/04 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 2 | 0 | 0 | 0 | 2 | 0 % |
2004/05 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 3 | 0 | 0 | 0 | 3 | 50 % |
2005/06 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 0 | 3 | 0 | 0 | 0 | 3 | 0 % |
2006/07 | 0 | 0 | 1 | 0 | 2 | 0 | 0 | 0 | 3 | 0 | 0 | 0 | 4 | 33 % |
2007/08 | 0 | 0 | 1 | 0 | 2 | 0 | 0 | 0 | 5 | 0 | 0 | 0 | 8 | 100 % |
2008/09 | 0 | 0 | 3 | 1 | 2 | 0 | 0 | 0 | 5 | 1 | 0 | 0 | 12 | 50 % |
2009/10 | 0 | 0 | 4 | 1 | 2 | 0 | 0 | 0 | 5 | 1 | 0 | 0 | 13 | 8% |
2010/11 | 0 | 1 | 6 | 1 | 2 | 0 | 0 | 0 | 8 | 2 | 0 | 0 | 20 | 54 % |
2011/12 | 0 | 0 | 9 | 0 | 2 | 1 | 0 | 0 | 10 | 2 | 0 | 0 | 24 | 20 % |
2012/13 | 0 | 0 | 12 | 0 | 2 | 4 | 0 | 0 | 11 | 4 | 0 | 0 | 33 | 38 % |
2013/14 | 0 | 0 | 13 | 0 | 2 | 7 | 0 | 0 | 12 | 6 | 0 | 0 | 40 | 21 % |
2014/15 | 0 | 0 | 19 | 0 | 2 | 10 | 0 | 0 | 15 | 9 | 0 | 1 | 57 | 43 % |
2015/16 | 0 | 1 | 25 | 0 | 3 | 11 | 0 | 0 | 19 | 11 | 0 | 1 | 72 | 26 % |
2016/17 | 0 | 2 | 28 | 0 | 4 | 17 | 0 | 0 | 21 | 13 | 0 | 1 | 87 | 21 % |
2017/18 | 0 | 3 | 43 | 0 | 10 | 24 | 0 | 0 | 27 | 15 | 0 | 1 | 123 | 41 % |
2018/19 | 1 | 6 | 53 | 0 | 12 | 31 | 1 | 2 | 30 | 20 | 2 | 1 | 159 | 29 % |
2019/20 | 1 | 7 | 60 | 2 | 17 | 37 | 2 | 1 | 33 | 24 | 2 | 2 | 163 | 18 % |
2020/21 | 3 | 8 | 59 | 4 | 31 | 44 | 2 | 0 | 38 | 26 | 0 | 3 | 218 | 16 % |
2021/22 | 3 | 6 | 66 | 5 | 30 | 52 | 3 | 0 | 43 | 32 | 3 | 4 | 245 | 12 % |
2022/23 | 3 | 3 | 33 | 5 | – | 47 | 5 | – | 31 | – | 3 | 3 | 133 |
Leider gibt es Bundesländer, in denen die Zahlen vom Vor- und Vorvorjahr nachträglich deutlich nach oben korrigiert werden müssen, was die Abweichung dieser Tabelle von den vorangegangenen erklärt. So wurden für 2018/19 in Brandenburg bei der letzten Veröffentlichung 2020 15 Territorien nachgemeldet – also 28 % der Rudel in Brandenburg aus dem Jahr 2018/19 wurden erst im Monitoringjahr 2019/20 erfasst. Entsprechend sehe ich die aktuell veröffentlichte Daten des BfN als relativ unvollständig und untere Grenze an, so dass nur die Daten bis zum jeweils vorangegegangen Monitoringjahr (jetzt also 2020/21) in die Berechnung mit einfließen.
Und nun?
Im Ergebnis kann man nach dieser Berechnung für 2022/23 mit etwa 274 Wolfsterritorien (inkl. der bereits nachgewiesenen 133) in Deutschland ausgehen +/- 20, die bisher nicht erfasst wurden oder eventuell wieder verschwunden sind. Der offizielle Wert lieg also deutlich unter dem Fehlerkoeffizienten des Erwartungswertes. Für das Monitoring-Jahr 2023/2024 erwartet TRIM schon etwa 310 Territorien (wobei der Fehler mit +/- 30) hier schon deutlich höher angegeben wird). Zusätzlich habe ich die Zahl der Totfunde im Verhältnis zu Population in die Graphik eingetragen. Sie liegen im Mittel bei ca. 7 % der Populationsgröße. Bei rund 8 % der Totfunde handelt es sich um illegale Tötungen. Somit werden derzeit rund 0,6 % der Wolfspopulation in Deutschland illegal getötet. Weitere Daten (Chi-Quadrattest oder Signifikantstests für die Änderung der Entwicklungen, Changepoints) sind der Graphik zu entnehmen.
Wie viele Wölfe leben nun (mindestens) in Deutschland?
Es sind zwei Größen für die Fragestellung zusätzlich zur Anzahl der Territorien relevant: Die statistisch zu erwartenden erwachsenen Tiere und die statistisch zu erwartende Gesamtzahl der Tiere (inkl. Welpen). Man rechnet pro Rudel mit ca. zehn Tieren (inkl. Welpen). Da auch Territorien von Wolfspaaren (also Territorien, in denen nur zwei Tiere nachgewiesen werden konnten) in die Berechnung einflossen, sollte man von acht Tieren pro Rudel ausgehen, um die Territorien ohne Reproduktion mit anzubilden. Zu den zwei erwachsenen Tieren eines Territoriums rechnet man immer noch ein statistisches drittes erwachsenes Tier außerhalb des Rudels zu, um die Vagabunden ohne Territorium mit abzubilden.
Legt man allein die offiziell, veröffentlichen (vermutlich noch unvollständigen) Daten zugrunde, kann man für das Monitoringjahr 2021/2022, unter den genannten Annahmen, bei 230 bestätigten Territorien von etwa 710 adulten, territorialen Wölfen mit etwa 1.190 Jungtieren ausgehen, insgesamt also 1.900 Tieren.
Man kann für das Monitoringjahr 2021/2022 (also am 30.04.2022), unter den genannten Annahmen, bei etwa 240 Territorien von etwa 730 adulten, territorialen Wölfen mit etwa 1.210 Jungtieren ausgehen, insgesamt also 1.940 Tieren.
Für das aktuelle Monitoringjahr 2022/2023 (also am 30.04.2023) kann man, unter den genannten Annahmen, von etwa 274 Territorien (+/- 20) von etwa 820 adulten, territorialen Wölfen mit etwa 1.370 Jungtieren, insgesamt also von 2.190 Tieren ausgehen.
Und das sind, da nur offiziell per DNA nachgewiesene Territorien in die Berechnung einfließen, absolute Mindestangaben!
Es wird oft kritisiert, dass die Sterblichkeit nicht abgebildet würde. Das Gegenteil ist der Fall, denn trotz der Sterblichkeit der Tiere (v.a. Welpen und Jungtiere) bzw. der 8 % die pro Jahr tot aufgefunden werden, reicht die Überlebensrate der Population immerhin für diese im Nachhinein durch DNA belegte Expansion der Wolfsterritorien, wie wir sie aktuell in den letzten Jahren mit erleben; zwischen 2010/2011 und 2020/21 entspricht das im Mittel einer jährlichen Zuwachsrate von rund 30 % (über den gesamten Zeitraum – ab 2000 – sogar von 33 %!), also mehr als einer Verdoppelung des nachgewiesenen Bestandes alle drei Jahre. Eine Expansion einer Art in einen neuen (alten) Lebensraum wie im Lehrbuch!
Persönliche Anmerkung: Jedem, dem an einer sachlichen Diskussion liegt, kann ich nur ans Herz legen, das Monitoring mit Meldungen zu unterstützen! Nur so wird über Zahlen und nicht über Mutmaßungen diskutiert. Der illegale Abschuss von durchschnittlich 0,6 % der Wölfe pro Jahr in Deutschland fällt für das Populationsgeschehen dieser Art nicht ins Gewicht. Illegale Abschüsse sind schlicht nur kontraproduktiv im Sinne einer sachlichen Diskussion zur Lösung bestehender Konflikte!
Ohne auf die Daten der anderen EU-Länder, über die sich diese Population erstreckt, zurückzugreifen, muss man auf Grundlage der öffentlich verfügbaren Datenlage zu dem Schluss kommen, dass es sich mindestens in Deutschland um eine vitale, expandierende Population handelt. Die Politik ist nun damit gefragt, entsprechend sachlich damit umzugehen!
Das Ganze wird natürlich fortgesetzt 😉 .
Wer bessere Möglichkeiten kennt, sich den Zahlen anzunähern, den bitte ich um konstruktive Kommentare. 🙂
Literatur / Datenquellen
- TRends and Idices for Monitoring data: Analysis of monitoring data with many missing values (C.J.F. Ter Braak, A.J. van Strien, R. Meijer & T.J. Verstrael, 1994)
- Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 170 (2): Säugetiere (2020)
- Status und Reproduktion: DBB-Wolf (Stand 10/2020: www.dbb-wolf.de
- Pressemittelung des BfN: www.bfn.de/presse/pressemitteilung.html
- Wolfsmonitoring in Niedersachsen
2 Kommentare
Angela Drutschmann
Ich bin wirklich ein totaler Naturmensch und auch Befürworter der Rückkehr der Woelfe bei uns in Deutschland. Ich lese alles was dieses Thema betrifft. Ich glaube aber auch, dass der Wolf sich unserer Landschaft besser angepasst hat als erwartet und sich damit arrangiert hat. Deswegen wuensche mir auch, und ich glaube das wird dringend nötig sein, dass der Bestand gewissenhaft kontrolliert wird damit uns diese Sache nicht irgendwann in naher Zukunft auf die Fuesse fällt. Ich weiss nicht wie viele woelfe hier bei uns Platz und vor allem genügend Nahrung finden. Wir wissen alle wohin das führen koennte wenn dem so nicht mehr ist. Deswegen habe ich Bedenken wenn irgendwann die natürlichen Nahrungsquellen der woelfe versiegen. Was dann?
Lisa
Wenn ich der Berechnung rein rechnerisch folge, kommen wir in 12 Jahren über 35000 Wölfe. Das heißt alle 10 qkm ca. 1 Wolf. Dabei sind bei der Fläche von ca. 360000 qkm in der Bundesrepublik nur 30 % Wald. Ich frage mich ernsthaft, wo sollen die alle leben und von was sollen die sich ernähren dann? Meiner Meinung nach sollte da ein Konzept her, was die Verdopplung alle 3 Jahre im Zaum hält, denn was ist dann in 15 Jahren, wo dann rechnerisch auf alle 10 qkm 2 Wölfe kommen? Und das ist ja nur das absolute Minimum, weil man nicht alle Tiere kontrolliert zählen kann. Die Wolfspopulation wird sich rasant vermehren, wann ist es so spät, dass wir dann mit einem Problem konfrontiert werden?