Der Wolf

Populationsentwicklung beim Wolf – Fortschreibung für 2019/20

Der ein oder andere weiß bereits, dass ich seit einigen Jahren, die Entwicklung der Wolfspopulation rechnerisch mit dem Tool „TRIM“ verfolge. Erfreulicherweise mit einer relativ genauen Eintrittswahrscheinlichkeit – wenn auch eher am unteren Rand der Entwicklung (meistens sind es dann doch mehr gewesen…).

Eigentlich von der zur Vogelzählung genutzt, wurde es auch vom BfN zur Erstellung der aktuellen Rote Liste der Säugetiere in Deutschland genutzt (Rote Liste der Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 170 (2): Säugetiere (2020), S. 12). Auch dort hat sich die Einschätzung der Population des Wolfes auf Grund der „deutlichen Zunahme“ durch die „reale Veränderung der Gefährdungssituation“ um zwei Stufen von „1 – vom Aussterben bedroht“ zu „3 – gefährdet“ verbessert. Und auch nach den bisherigen Daten, gibt es weiter kein Signal, dass die ökologische Populationsgrenze in Sichtweite sein könnte oder andere Einflüsse (Verkehr, illegale Abschüsse) zu einer Verlangsamung der Entwicklung führen.

Noch einmal zur Erinnerung:

Um zu Antworten zu kommen, ohne sich auf die Aussagen der unterschiedlichsten Interessengruppen verlassen zu müssen, habe ich die öffentlich vorliegenden, bestätigten und politisch abgestimmten Daten vom DBBW, die Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf und Wolfsmonitoring.com einzeln nach Bundesländern und Jahren in die Software gefüttert. Ich habe mich bei der Berechnung allein auf die nachgewiesenen Territorien für Rudel und Paare für das jeweilige Jahr beschränkt und diese je nach Bundesland eingegeben, weil in Deutschland natürlich jedes Bundesland anders zählt.

Ich habe wieder das Programm vom European Bird Census, TRIM (TRends and Indices for Monitoring data) genutzt. Der Algorithmus geht davon aus, dass nicht alle Daten vorliegen und das jeder Kartierer (Bundesland) etwas anders zählt. Also das, was man braucht, um aus mehr oder weniger vollständigen Daten brauchbare Prognosen abzuleiten. Deshalb gibt es standardmäßig einen Fehlerkoeffizienten, der ebenfalls in der Graphik dargestellt wird. Die Graphik habe ich mit den Zahlen aus dem Programm in einem modernen Programm für Tabellenkalkulation graphisch aufbereitet, weil es sonst nicht sehr leserlich ist.

Die Datengrundlagen

Will man aus diesen Zahlen, wie auch aus denen des DBBW Schlüsse für die Gegenwart ziehen, ist immer zu beachten, dass das Monitoringjahr für den Wolf vom 01. Mai bis zum 30. April definiert ist, d.h. immer die Daten des vorangegangen Kalenderjahres wiedergegeben werden. Das DBBW bezieht sich auf die geschlechtsreifen, territorialen Tiere, die per DNA nachgewiesen wurden zum Zeitpunkt 2019/2020 (also am 30.4.2020). Die Zahlen für das Monitoring-Jahr 2020/2021 sind im Herbst 2021 zu erwarten.

Es wurden Territorien (von Rudeln und Paaren, ohne territoriale Einzeltiere) herangezogen, weil ich davon ausgehe, dass es Energie kostet, ein Territorium zu etablieren, es sich also „lohnen“ muss und weil ich weiter davon ausgehe, dass der Nachweis eines Rudels (also der Reproduktion) in etlichen Gegenden Deutschlands eher ein Zufallsbefund ist. Die Zahlen stammen bis 2019/2020 ausnahmslos vom DBBW.

Jahr / LandByBrbMeck.-Pom.Nds.NRWSNS.-A.ThΣZuwachs [%]
2000/010000010010 %
2001/020000010010 %
2002/030000010010 %
2003/040000010010 %
2004/05000003003200 %
2005/060000030030 %
2006/070000030030 %
2007/08010005006100 %
2008/0902000510833 %
2009/1003000510913%
2010/11050008101456 %
2011/120701010202043 %
2012/1301013011503050 %
2013/1401125012603620 %
2014/1501828015905244 %
2015/160253100191206933 %
2016/172284160211208320 %
2017/1834372402715011943 %
2018/1935493002920 014623 %
2019/20457133612921116312 %
Bestätigte Rudel und Paare (ohne Einzeltiere) vom DBBW.

Leider gibt es Bundesländer, in denen die Zahlen vom Vor- und Vorvorjahr nachträglich deutlich nach oben korrigiert werden müssen, was die Abweichung dieser Tabelle von den vorangegangenen erklärt. So wurden für 2018/19 in Brandenburg bei der letzten Veröffentlichung 2020 15 Territorien nachgemeldet – also 28 % der Rudel in Brandenburg aus dem Jahr 2018/19 wurden erst im Monitoringjahr 2019/20 erfasst. Entsprechend sehe ich die aktuell veröffentlichte Daten des BfN als relativ unvollständig und untere Grenze an, so dass nur die Daten bis zum jeweils vorangegegangen Monitoringjahr (jetzt also 2018/19) in die Berechnung mit einfließen.

Und nun?

Im Ergebnis kann man nach dieser Berechnung für 2019/20 mit etwa 185 Wolfsterritorien (inkl. der bereits nachgewiesenen 163) in Deutschland ausgehen +- 12, die bisher nicht erfasst wurden oder eventuell wieder verschwunden sind. Der offizielle Wert lieg also deutlich unter dem Fehlerkoeffizienten des Erwartungswertes. Für das Monitoring-Jahr 2020/2021 erwartet TRIM schon etwa 232 Territorien (wobei der Fehler mit 23 hier schon deutlich höher angegeben wird). Weitere Daten (Chi-Quadrattest oder Signifikantstests für die Änderung der Entwicklungen, Changepoints) sind der Graphik zu entnehmen.

Wie viele Wölfe leben nun (mindestens) in Deutschland?

Es sind zwei Größen für die Fragestellung zusätzlich zur Anzahl der Territorien relevant: Die statistisch zu erwartenden erwachsenen Tiere und die statistisch zu erwartende Gesamtzahl der Tiere (inkl. Welpen). Man rechnet pro Rudel mit ca. zehn Tieren (inkl. Welpen). Da auch Territorien von Wolfspaaren (also Territorien, in denen nur zwei Tiere nachgewiesen werden konnten) in die Berechnung einflossen, sollte man von acht Tieren pro Rudel ausgehen, um die Territorien ohne Reproduktion mit anzubilden. Zu den zwei erwachsenen Tieren eines Territoriums rechnet man immer noch ein statistisches drittes erwachsenes Tier außerhalb des Rudels zu, um die Vagabunden ohne Territorium mit abzubilden.

Man kann für das Monitoringjahr 2019/2020 (also am 30.04.2020), unter den genannten Annahmen, bei etwa 185 Territorien von etwa 555 adulten, territorialen Wölfen mit etwa 925 Jungtieren ausgehen, insgesamt also 1.480 Tieren.

Legt man allein die offiziell, veröffentlichen (vermutlich noch unvollständigen) Daten zugrunde, kann man für das Monitoringjahr 2019/2020, unter den genannten Annahmen, bei etwa 163 Territorien von etwa 489 adulten, territorialen Wölfen mit etwa 815 Jungtieren ausgehen, insgesamt also 1.304 Tieren.

Für das aktuelle Monitoringjahr 2020/2021 (also am 30.04.2021) kann man, unter den genannten Annahmen, von etwa 232 Territorien (+/- 23) von etwa 696 adulten, territorialen Wölfen mit etwa 1.160 Jungtieren ausgehen, insgesamt also 1.856 Tieren.

Es wird oft kritisiert, dass die Sterblichkeit nicht abgebildet würde. Das Gegenteil ist der Fall, denn trotz der Sterblichkeit der Tiere (v.a. Welpen und Jungtiere) reicht die Überlebensrate der Population immerhin für diese im Nachhinein durch DNA belegte Expansion der Wolfsterritorien, wie wir sie aktuell in den letzten Jahren mit erleben; zwischen 2008/2009 und 2018/19 entspricht das im Mittel einer jährlichen Zuwachsrate von rund 34 % (über den gesamten Zeitraum sogar von 36 %!), also mehr als einer Verdoppelung des nachgewiesenen Bestandes alle drei Jahre. Eine Expansion einer Art wie im Lehrbuch!

Ohne auf die Daten der anderen EU-Länder, über die sich diese Population erstreckt, zurückzugreifen, muss man auf Grundlage der öffentlich verfügbaren Datenlage zu dem Schluss kommen, dass es sich mindestens in Deutschland um eine vitale, expandierende Population handelt. Die Politik ist nun damit gefragt, entsprechend sachlich damit umzugehen!

Äußerst unbefriedigend ist die mangelhafte Transparenz des Monitorings einiger Bundesländer und der DBBW. Bis auf Niedersachsen veröffentlicht kein Bundesland halbwegs aktuelle Zahlen. Das hat mindestens ein „Geschmäckle“! Auf jeden Fall wird so eine sachliche Diskussion erschwert und Misstrauen gefördert!

Aktualisiert am 01.11.2020

Literatur / Datenquellen

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